Nur in Zelten wohnt Gott
Texte von Leonhard Ragaz,
herausgegeben von Manfred Böhm
Ein Kalendarium
422 Seiten
CHF 32.– / € 32.–
ISBN 978-3-907386-05-7
Luzern, September 2025
Ein Lesebuch, das Neugier und Appetit wecken will
Die vorliegenden Texte des religiösen Sozialisten Leonhard Ragaz sind kurze Abschnitte, man könnte auch sagen «Ausrisse» aus längeren Aufsätzen oder Büchern, die – aufgrund ihrer Knappheit durch keine langen Erklärungen begründet oder abgesichert – thesenartige Statements darstellen. Sie sind nicht thematisch katalogisiert, sondern assoziativ angeordnet, was dem Denken von Ragaz am meisten entspricht. Er war ein situativer Denker und Systeme waren ihm suspekt.
Der Titel «Nur in Zelten wohnt Gott» ist ein Zitat von Ragaz und bringt seinen theologischen Ansatz auf den Punkt: Gott ist nicht in den repräsentativen Tempeln der gesellschaftlich Etablierten und Gutsituierten zu finden. Vielmehr ist er beheimatet in den windigen Zelten und Hütten der Prekären und an den Rand Gedrängten.
Die Form als Kalendarium ist ein Vorschlag, sich über den Zeitraum eines ganzen Jahres immer wieder täglich in kleinen Dosen mit Ragaz zu beschäftigen. Es bietet die Möglichkeit, sich ihm gemächlich und niederschwellig zu nähern.
Manfred Böhm, geboren 1958 in Coburg. Studium der Katholischen Theologie in Bamberg und Tübingen. Promotion zum Religiösen Sozialismus bei Leonhard Ragaz. Danach etliche Jahre in der Bildungsarbeit tätig. Von 1998 bis 2024 Leiter der Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg.
Die Edition Exodus dankt folgenden Institutionen und
Vereinen, die das vorliegende Kalendarium durch
großzügige Unterstützungsbeiträge ermöglicht haben:
Stiftung der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Zürich (SERKZ)
Evangelisch-reformierte Landeskirche Graubünden
Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Verband römisch-katholischer Kirchgemeinden
der Stadt Zürich
Theologische Bewegung für Solidarität und Befreiung, Luzern
Buchbesprechung von Daniel Kosch bei:

Bücher mit einem Zitat einer bekannten Persönlichkeit pro Tag gibt es viele, rezensiert werden sie eher selten. Das Kalendarium, um das es hier geht, unterscheidet sich allerdings schon optisch von den meisten dieser Art. Es ist klein, kompakt und ist rabenschwarz. Der Titel ist in kleinen Lettern gesetzt und lautet «Nur in Zelten wohnt Gott». Die täglichen Einträge umfassen etwa 10 bis 20 Zeilen von Leonhard Ragaz, sorgfältig ausgewählt von Manfred Böhm. Eine Buchempfehlung von Daniel Kosch.
Sozialismus und Antimilitarismus als Ausdruck einer
Reich-Gottes-Theologie
1912 verfasste er als Reaktion auf einen unverhältnismässig harten militärischen Einsatz gegen die Streikenden eine Schrift mit dem Titel «Der Zürcher Generalstreik». Die Sozialdemokraten verbreiteten den Text ohne sein Wissen 100’000-fach als Flugblatt. Darin warf er der bürgerlich-christlichen Gesellschaft praktischen Atheismus vor. Dieser sei die tiefste Wurzel der Gespaltenheit der Gesellschaft. Der resultierende Bruch mit den bürgerlichen Kreisen war irreversibel.
Bald darauf traten Ragaz und seine Ehefrau und Mitstreiterin, Clara Ragaz Nadig, der sozialdemokratischen Partei bei. «Nicht nur sein Sozialismus, sondern auch sein Antimilitarismus sind Ausdruck seiner Reich-Gottes-Theologie», schreibt der Herausgeber Manfred Böhm in seiner konzisen Einleitung. Der immer mächtiger werden Wunsch, seine religiös-sozialistische Theologie nicht nur vom Lehrstuhl aus zu verbreiten, sondern auch zu verwirklichen, führte zur Entscheidung, die Professur aufzugeben und sich zusammen mit seiner Frau der Arbeiterbildung zu widmen. Dafür zog er mit seiner Familie vom Nobelviertel Zürichberg ins Arbeiterquartier Aussersihl.
Die Botschaft vom Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit für die Erde ist nicht nur der Ausgangs- und Mittelpunkt allen Denkens von Ragaz und seiner zahlreichen Publikationen, sondern auch des in der Edition Exodus erschienen Kalendariums. Dieses ist nicht systematisch oder thematisch strukturiert, sondern «assoziativ angeordnet», was dem situativen Denken von Ragaz entspreche, dem Systeme suspekt waren (10).
Abwehrkräfte gegen Privatisierung, Verinnerlichung und
Verkirchlichung der christlichen Botschaft stärken
Was mich seit dem Erscheinen des Buches motiviert, täglich meine kleine Dosis Ragaz einzunehmen, ist zum einen der Wunsch, meine Abwehrkräfte gegen die starke Tendenz zur Privatisierung, Verinnerlichung und Verkirchlichung der christlichen Botschaft zu stärken. Zum anderen ist es die frische, klare Sprache, die stark biblisch geprägt ist. Die Texte benennen die Dinge, «lügen nichts um» (Hilde Domin) und stärken den Mut zur Parteilichkeit. Ohne dabei undifferenziert zu werden, bringen sie die Dinge auf den Punkt. Dazu nur ein Beispiel:
Mit Gott ringen
Eines Besseren belehrt wird, wer vermutet, Religiöser Sozialismus sei horizontalistisch, betone die Nächstenliebe auf Kosten der Gottesliebe, die Weltverbesserung auf Kosten der Transzendenz, das Tun auf Kosten des Glaubens. Etliche Texte sind Ausdruck einer existenziellen Spiritualität:
Prophetische Gesellschafts- und Kirchenkritik
Etliche der ausgewählten Zitate verbinden die biblische Gottesbotschaft mit prophetischer Kritik, nicht nur an der Gesellschaft, sondern auch an der Kirche, am kirchlichen und theologischen Betrieb. Beim ersten Lesen haben sie mir gefallen, weil sie zuspitzen, was ich auch denke. Beim zweiten Lesen musste ich eingestehen, dass manche nicht nur «den Anderen» gelten, sondern auch mich treffen:

Jüngste Publikation: «Synodal und demokratisch. Katholische Kirchenreform in schweizerischen Kirchenstrukturen» (Edition Exodus, Luzern 2023).